Friday, October 15. 2010
Spiegelbild der Ethik
Letztes Jahr machte die Nachricht die Runde, dass Schweine mit Spiegeln umgehen können.1 Sie konnten sie dazu benutzen, um Nahrung zu finden, die nur im Spiegel zu sehen war, ohne das Spiegelbild für real zu halten oder zu ignorieren. Seitdem wird ihnen der Besitz von Bewusstsein, wenn auch noch nicht von Selbstbewusstsein zugestanden. Damit ihnen Selbstbewusstsein attestiert würde, müssten sie den Spiegeltest bestehen. Das ist ein Test aus der Verhaltens- und Kognitionsforschung, bei dem die Versuchstiere mit einem farbigen Punkt auf der Stirn oder dem Hals markiert werden. Ihnen wird ein Spiegel gegeben und wenn sie mithilfe des Spiegels diese Markierung näher betrachten und sie zu berühren versuchen, beweise das, dass sie ein Bewusstsein davon haben, dass das Spiegelbild sie selbst darstellt. Tiere, die das Spiegelbild ignorieren oder es für ein anderes Tier halten, haben den Test nicht bestanden. Nur einige Arten der Affen, Delfine und Krähenvögel bestehen bisher diesen Spiegeltest. Alle anderen Spezies gelten nicht als sich selbst bewusst.
Während wiederholt damit argumentiert wurde (und wird), nichtmenschliche Tiere verdienten keine Rechte, weil sie – anders als Menschen – kein Selbstbewusstsein besäßen, hat diese Entdeckung den Affen und den anderen Spezies in der Praxis bisher wenig genützt. Affen sterben in Labors, Delfine im Fischfang und Krähen als "Schädlinge". Auch den Schweinen hat das Zugestehen eines Bewusstseins nichts gebracht. Weiterhin werden über 50 Millionen jedes Jahr allein in Deutschland getötet. Hunde, die in dieser Hinsicht nicht so intelligent sind wie Schweine, werden dagegen meistens verhätschelt. Gegen diesen Test und die Selbsterkenntnis als Kriterium für ethische Berücksichtung spricht aber nicht nur seine offenkundige Wirkungslosigkeit auf das ethische Verhalten der Menschen – oder genauer gesagt, seine einseitige Wirkung: denn zum Absprechen von Rechten reicht es offenbar –, sondern auch mehrere methodische Schwächen.
Eine aktuelle Studie unter der Leitung von Luis Populin hat erneut diese Schwächen und die Fehlerhaftigkeit des Tests belegt.2 Bei Makaken (Rhesusaffen) ging man bisher davon aus, dass sie kein Selbstbewusstsein besäßen, da sie den Spiegeltest nicht bestanden. Das passte ins Weltbild, denn Menschenaffen (Primaten) wie Schimpansen oder Orang-Utans bestehen den Test, Makaken gehören dagegen nicht zu den Primaten, sondern zu den "weniger hoch entwickelten" Affenarten. Bei dem Experiment von Populin, das eigentlich nicht diese Fähigkeit untersuchen sollte, haben die Makaken Elektroden, die auf ihrem Kopf befestigt wurden, mithilfe eines Spiegels näher betrachtet, das Fell darum gesäubert und teilweise den Spiegel in die Hände genommen und so gehalten, dass sie sich besser betrachten können. Dass sie beim klassischen Markierungstest durchgefallen sind, hat zu einer falschen Schlussfolgerung über ihre Fähigkeit zu Selbsterkenntnis geführt, die sie, wie man nun weiß, doch besitzen.
Damit plädiere ich jedoch nicht dafür, dass man den Test nur verfeinern und weiterhin anwenden sollte, denn das gesamte Konzept ist an sich fehlerhaft. Genauer gesagt, es ist anthropozentrisch. Während Menschen ca. 80 Prozent ihrer Sinneswahrnehmung über die Augen beziehen, sind andere Spezies nicht so stark auf den visuellen Sinn fixiert. Die Wiedererkennung mit einem Spiegel zu testen ist rein visuell und bei Menschen daher sinnvoll. Bei Hunden spielt dagegen der Geruchssinn eine größere Rolle, bei Katzen das Gehör usw. Manche Spezies sind (visuell) praktisch blind, wie Maulwürfe und Fledermäuse. Sie würden schon aus formalen Kritieren diesen Test nie bestehen können. Würde die Fähigkeit der Selbsterkenntnis bei Menschen durch Gerüche, Geräusche oder – analog zu Fledermäusen – über Ultraschall bestimmt, würden Menschen oft, im letzten Fall grundsätzlich, durchfallen.
Man könnte nun einwenden, dann solle man für Hunde eben einen Geruchstest entwickeln, für Katzen eine Hörtest usw. Gegen den Versuch einer weiteren Verbesserung spricht Makaken-Experiment. Denn obwohl Makaken, was ihre Fixierung auf das Visuelle betrifft, dem Menschen und anderen Menschenaffen, die den klassischen Markierungstest bestehen, sehr ähnlich sind, hat der visuelle Test zu einem falschen Ergebnis geführt. Wie der Studienleiter (der sich letztlich trotzdem für die Verbesserung des Tests ausspricht) sagt: "Denn es scheint möglich, dass diese Tiere über ein Bewusstsein ihrer selbst verfügen, das sich von unserem Ich-Bewusstsein unterscheidet […]." Mit einem an der menschlichen Form des Selbstbewusstseins ausgerichteten Test kann man nichtmenschlichen Tieren nicht gerecht werden.
Anthropozentrisch ist es auch in einer zweiten Hinsicht. Es wird im Zusammenhang mit dieser Art von Test behauptet, dass nichtmenschliche Tiere nur dann Rechte erhalten sollten, wenn ihre Fähigkeiten den Fähigkeiten von Menschen ähnlich sind. Umso ähnlicher sie sind, umso mehr Rechte sollten sie haben. Das Problem ist, dass diese Denkweise weiterhin speziesistisch ist. Vergleichen wir es mit Rassismus: In südamerikanischen Ländern gibt es Diskriminierungen aufgrund der Hautfarbe, die Abstufungen kennt. Hier gibt es durch das Nebeneinander von Schwarzafrikanern, Weißen und Eingeborenen viele sog. Mulatten und Menschen mit anderen Mischungen der Hautfarbe. Rassismus tritt dadurch auf, dass die Menschen teilweise nach ihrer "Hellhäutigkeit" bewertet werden: umso heller die Hautfarbe, desto besser. Das ist Rassismus mit Abstufung, aber es ist immer noch Rassismus. Die Aufwertung nichtmenschlicher Tiere nach dem Grad ihrer Übereinstimmungen mit Menschen ist analog dazu weiterhin speziesistisch. Es schafft nur neue Hierarchien, statt die alten abzubauen.
Auch bewerten wir die Grundrechte von Menschen nicht nach ihrer Fähigkeit zur Selbsterkenntnis. Wir bewerten andere Rechte in dieser Weise und dies ist berechtigt. Kleinkinder, die bis zu einem gewissen Alter, und geistig behinderte Menschen, die ab einer gewissen Schwere der Behinderung, nicht die Fähigkeit der Selbsterkenntnis bzw. keine höhere Rationalität besitzen, haben beispielsweise kein Wahlrecht oder kein Recht auf höhere Schulbildung, da ihnen die kognitiven Fähigkeiten, diese wahrzunehmen, fehlen. Der Besitz der Grundrechte dagegen ist dieses Kriterium irrelevant. Man darf sie nicht als Organspender oder Versuchsobjekte missbrauchen, nur weil sie sich nicht im Spiegel erkennen oder die Zukunft planen können. Genauso sollten auch nichtmenschliche Tiere nicht nach ihrer Fähigkeit zur Selbsterkenntnis oder ähnlichen Kriterien bewertet werden. Denn die Ungleichbehandlung in diesem Punkt wäre speziesistisch, es hieße, gegen den Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen, auf dem jede Ethik beruht. Genauso wie Menschen ohne die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis Grundrechte (wie das Recht auf Leben) haben, darf man auch nichtmenschlichen Tieren konsequenterweise elementare Rechte nicht absprechen, wenn sie diese Fähigkeit nicht besitzen. Trotz der Abstufungen – Makaken können sich im Spiegel erkennen, Schweine können Spiegel benutzen, Hühner weder das eine noch das andere – haben alle diese Tiere das gleiche Grundinteresse, nicht als Ressource gebraucht zu werden. Und das ist letztlich Grund genug, um sie auch nicht so zu behandeln.
Ein Spiegel sollte das bleiben, was er ist: ein nützlicher Gegenstand, nicht die Grenze zwischen Leben und Tod.
__________
1 Donald M. Broom, Hilana Senaa and Kiera L. Moynihana: Pigs learn what a mirror image represents and use it to obtain information, in: Animal Behaviour Jg. 78 (2009), Nr. 5, 1037-1041.
2 Jan Lauwereyns, Abigail Z. Rajala, Katharine R. Reininger, Kimberly M. Lancaster, Luis C. Populin. Rhesus Monkeys (Macaca mulatta) Do Recognize Themselves in the Mirror. Implications for the Evolution of Self-Recognition, Vorabveröffentlichung: PLoS ONE (2010), 5 (9): e12865, DOI: 10.1371/journal.pone.0012865.
Während wiederholt damit argumentiert wurde (und wird), nichtmenschliche Tiere verdienten keine Rechte, weil sie – anders als Menschen – kein Selbstbewusstsein besäßen, hat diese Entdeckung den Affen und den anderen Spezies in der Praxis bisher wenig genützt. Affen sterben in Labors, Delfine im Fischfang und Krähen als "Schädlinge". Auch den Schweinen hat das Zugestehen eines Bewusstseins nichts gebracht. Weiterhin werden über 50 Millionen jedes Jahr allein in Deutschland getötet. Hunde, die in dieser Hinsicht nicht so intelligent sind wie Schweine, werden dagegen meistens verhätschelt. Gegen diesen Test und die Selbsterkenntnis als Kriterium für ethische Berücksichtung spricht aber nicht nur seine offenkundige Wirkungslosigkeit auf das ethische Verhalten der Menschen – oder genauer gesagt, seine einseitige Wirkung: denn zum Absprechen von Rechten reicht es offenbar –, sondern auch mehrere methodische Schwächen.
Eine aktuelle Studie unter der Leitung von Luis Populin hat erneut diese Schwächen und die Fehlerhaftigkeit des Tests belegt.2 Bei Makaken (Rhesusaffen) ging man bisher davon aus, dass sie kein Selbstbewusstsein besäßen, da sie den Spiegeltest nicht bestanden. Das passte ins Weltbild, denn Menschenaffen (Primaten) wie Schimpansen oder Orang-Utans bestehen den Test, Makaken gehören dagegen nicht zu den Primaten, sondern zu den "weniger hoch entwickelten" Affenarten. Bei dem Experiment von Populin, das eigentlich nicht diese Fähigkeit untersuchen sollte, haben die Makaken Elektroden, die auf ihrem Kopf befestigt wurden, mithilfe eines Spiegels näher betrachtet, das Fell darum gesäubert und teilweise den Spiegel in die Hände genommen und so gehalten, dass sie sich besser betrachten können. Dass sie beim klassischen Markierungstest durchgefallen sind, hat zu einer falschen Schlussfolgerung über ihre Fähigkeit zu Selbsterkenntnis geführt, die sie, wie man nun weiß, doch besitzen.
Damit plädiere ich jedoch nicht dafür, dass man den Test nur verfeinern und weiterhin anwenden sollte, denn das gesamte Konzept ist an sich fehlerhaft. Genauer gesagt, es ist anthropozentrisch. Während Menschen ca. 80 Prozent ihrer Sinneswahrnehmung über die Augen beziehen, sind andere Spezies nicht so stark auf den visuellen Sinn fixiert. Die Wiedererkennung mit einem Spiegel zu testen ist rein visuell und bei Menschen daher sinnvoll. Bei Hunden spielt dagegen der Geruchssinn eine größere Rolle, bei Katzen das Gehör usw. Manche Spezies sind (visuell) praktisch blind, wie Maulwürfe und Fledermäuse. Sie würden schon aus formalen Kritieren diesen Test nie bestehen können. Würde die Fähigkeit der Selbsterkenntnis bei Menschen durch Gerüche, Geräusche oder – analog zu Fledermäusen – über Ultraschall bestimmt, würden Menschen oft, im letzten Fall grundsätzlich, durchfallen.
Man könnte nun einwenden, dann solle man für Hunde eben einen Geruchstest entwickeln, für Katzen eine Hörtest usw. Gegen den Versuch einer weiteren Verbesserung spricht Makaken-Experiment. Denn obwohl Makaken, was ihre Fixierung auf das Visuelle betrifft, dem Menschen und anderen Menschenaffen, die den klassischen Markierungstest bestehen, sehr ähnlich sind, hat der visuelle Test zu einem falschen Ergebnis geführt. Wie der Studienleiter (der sich letztlich trotzdem für die Verbesserung des Tests ausspricht) sagt: "Denn es scheint möglich, dass diese Tiere über ein Bewusstsein ihrer selbst verfügen, das sich von unserem Ich-Bewusstsein unterscheidet […]." Mit einem an der menschlichen Form des Selbstbewusstseins ausgerichteten Test kann man nichtmenschlichen Tieren nicht gerecht werden.
Anthropozentrisch ist es auch in einer zweiten Hinsicht. Es wird im Zusammenhang mit dieser Art von Test behauptet, dass nichtmenschliche Tiere nur dann Rechte erhalten sollten, wenn ihre Fähigkeiten den Fähigkeiten von Menschen ähnlich sind. Umso ähnlicher sie sind, umso mehr Rechte sollten sie haben. Das Problem ist, dass diese Denkweise weiterhin speziesistisch ist. Vergleichen wir es mit Rassismus: In südamerikanischen Ländern gibt es Diskriminierungen aufgrund der Hautfarbe, die Abstufungen kennt. Hier gibt es durch das Nebeneinander von Schwarzafrikanern, Weißen und Eingeborenen viele sog. Mulatten und Menschen mit anderen Mischungen der Hautfarbe. Rassismus tritt dadurch auf, dass die Menschen teilweise nach ihrer "Hellhäutigkeit" bewertet werden: umso heller die Hautfarbe, desto besser. Das ist Rassismus mit Abstufung, aber es ist immer noch Rassismus. Die Aufwertung nichtmenschlicher Tiere nach dem Grad ihrer Übereinstimmungen mit Menschen ist analog dazu weiterhin speziesistisch. Es schafft nur neue Hierarchien, statt die alten abzubauen.
Auch bewerten wir die Grundrechte von Menschen nicht nach ihrer Fähigkeit zur Selbsterkenntnis. Wir bewerten andere Rechte in dieser Weise und dies ist berechtigt. Kleinkinder, die bis zu einem gewissen Alter, und geistig behinderte Menschen, die ab einer gewissen Schwere der Behinderung, nicht die Fähigkeit der Selbsterkenntnis bzw. keine höhere Rationalität besitzen, haben beispielsweise kein Wahlrecht oder kein Recht auf höhere Schulbildung, da ihnen die kognitiven Fähigkeiten, diese wahrzunehmen, fehlen. Der Besitz der Grundrechte dagegen ist dieses Kriterium irrelevant. Man darf sie nicht als Organspender oder Versuchsobjekte missbrauchen, nur weil sie sich nicht im Spiegel erkennen oder die Zukunft planen können. Genauso sollten auch nichtmenschliche Tiere nicht nach ihrer Fähigkeit zur Selbsterkenntnis oder ähnlichen Kriterien bewertet werden. Denn die Ungleichbehandlung in diesem Punkt wäre speziesistisch, es hieße, gegen den Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen, auf dem jede Ethik beruht. Genauso wie Menschen ohne die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis Grundrechte (wie das Recht auf Leben) haben, darf man auch nichtmenschlichen Tieren konsequenterweise elementare Rechte nicht absprechen, wenn sie diese Fähigkeit nicht besitzen. Trotz der Abstufungen – Makaken können sich im Spiegel erkennen, Schweine können Spiegel benutzen, Hühner weder das eine noch das andere – haben alle diese Tiere das gleiche Grundinteresse, nicht als Ressource gebraucht zu werden. Und das ist letztlich Grund genug, um sie auch nicht so zu behandeln.
Ein Spiegel sollte das bleiben, was er ist: ein nützlicher Gegenstand, nicht die Grenze zwischen Leben und Tod.
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1 Donald M. Broom, Hilana Senaa and Kiera L. Moynihana: Pigs learn what a mirror image represents and use it to obtain information, in: Animal Behaviour Jg. 78 (2009), Nr. 5, 1037-1041.
2 Jan Lauwereyns, Abigail Z. Rajala, Katharine R. Reininger, Kimberly M. Lancaster, Luis C. Populin. Rhesus Monkeys (Macaca mulatta) Do Recognize Themselves in the Mirror. Implications for the Evolution of Self-Recognition, Vorabveröffentlichung: PLoS ONE (2010), 5 (9): e12865, DOI: 10.1371/journal.pone.0012865.
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